Vorschau auf die RAW-Entwicklung mit Rawtherapee 5.9 - LinuxCommunity (2024)

Die nächste Rawtherapee-Version5.9 bringt zahlreiche Neuerungen, darunter auch umfangreiche Auswahlfunktionen.

Open-Source-affine Fotografen haben die Qual der Wahl, denn mittlerweile stehen zahlreiche freie Alternativen zu Adobe Lightroom und Capture One bereit. Zu den ältesten und ausgereiftesten RAW-Entwicklern gehört Rawtherapee[1], das demnächst in Version5.9 vorliegt (siehe Kasten “Update aufgeschoben”). Die wichtigsten Neuerungen sind sicherlich die sogenannten Local Adjustments, die endlich das Bearbeiten ausgewählter Bildbereiche erlauben.

Hashtags und Groups auf Instagram und Flickr zufolge wird Rawtherapee, verglichen mit ähnlicher Software, von vielen Fotografen unterschätzt. Allerdings erregt das Programm die Aufmerksamkeit einiger Profis wie Andy Astbury[2], Ilya Varivchenko[3] oder Michael Ezra[4]. Das liegt wohl daran, dass es insbesondere mit Blick auf Schärfe, Auflösung, Rauschen und die Rekonstruktion überbelichteter Zonen ein hervorragender RAW-Entwickler ist. Eine bedeutende Rolle spielen dabei Technologien wie Capture Sharpening (Eingangsschärfung) und Dual Demosaicing, auf die wir noch näher eingehen.

Update aufgeschoben

Die aktuelle Rawtherapee-Version5.8 stammt vom Februar2020. Die Veröffentlichung der in weiten Teilen überarbeiteten Version5.9 war ursprünglich für Weihnachten2020 angedacht, wurde allerdings verschoben. Wer mit der neuen Version experimentieren möchte, der erhält auf Github die aktuelle Entwicklerversion[7]. Für Linux gibt es ein AppImage, das Sie nach dem Herunterladen lediglich als ausführbar markieren müssen (chmod +x Rawtherapee_5.8.AppImage). Lassen Sie sich dabei nicht vom Namen Rawtherapee_5.8.AppImage und später dem Titel des Anwendungsfensters verwirren: Es handelt sich um die neueste Entwicklerversion. Welche Funktionen das anstehende Release am Ende beinhalten wird, steht noch nicht fest. So gibt es etwa noch Diskussionen um das bereits in ART integrierte Stempelwerkzeug[8].

Dynamisches Trio

Darktable[5] ist zweifellos der Bekannteste unter den freien RAW-Entwicklern und insgesamt auch der Mächtigste. Hinsichtlich der Funktionen betreffen die wesentlichen Unterschiede zwischen Darktable und Rawtherapee die Verwaltungsfunktionen und die Retuschewerkzeuge. Rawtherapee bietet nur einen Dateibrowser, der einige wenige Verwaltungsmöglichkeiten wie das Bewerten von Fotos bereitstellt, während Darktable ein eigenes Verwaltungsmodul mit einer Bilddatenbank besitzt.

Außerdem lassen sich in Darktable mit den Modulen Fleckenentfernung beziehungsweise Retusche auch größere Bildbereiche retuschieren. Bei Rawtherapee müssen Sie für solche Aufgaben auf externe Programme zurückgreifen oder auf den inzwischen sehr eigenständigen Fork ART[6] des Programms ausweichen. Aus unbekannten Gründen wurde der bisher allerdings nicht mit dem Hauptzweig des Programms verschmolzen (siehe Kasten “Neueinsteiger ART”).

Neueinsteiger ART

Über die neue Rawtherapee-Variante ART haben wir bereits in LU02/2021 ausführlich berichtet. Grundsätzlich muss man ART als ein eigenständiges Programm ansehen, das von der Open-Source-Community zu Recht mit großer Begeisterung aufgenommen wurde[9]. Es besitzt zahlreiche neue Funktionen, darunter auch einen Kopierstempel und einen Auswahlpinsel, jedoch fehlen wichtige Funktionen und Eigenschaften des Originals. Dazu zählen etwa der Dual-Demosaicing-Algorithmus Amaze+VNG4 und die Eingangsschärfung. Auf der anderen Seite fielen bei ART ein paar veraltete Funktionen der Schere zum Opfer, die es Rawtherapee weiterhin ermöglichen, ältere Dateiversionen zu öffnen.

Auch in Sachen Performance gibt es zwischen den beiden Programmen einen bedeutenden Unterschied: Darktable nutzt vor allem die Grafikkarte, während Rawtherapee ausschließlich auf den Hauptprozessor setzt. Theoretisch arbeitet Darktable dadurch viel schneller. In der Praxis geht Rawtherapee jedoch deutlich effizienter mit den Hardware-Ressourcen um und verbraucht vor allem weniger Strom. Insbesondere auf schwächerer Hardware liefert es eine bessere Performance.

Dual Demosaicing

Um die Dual-Demosaicing-Technologie zu verstehen, muss man einige Grundlagen der Entstehung digitaler Farbaufnahmen kennen. Digitalfotos setzen sich aus einem roten, einem grünen und einem blauen Farbkanal zusammen. Alle anderen Farben resultieren aus der additiven Mischung dieser drei Grundfarben. Die meisten Digitalkameras besitzen daher einen sogenannten Bayer-Sensor, bei dem sich vor jedem Pixel ein Farbfilter befindet. Jedes sieht also eigentlich nur rotes, grünes oder blaues Licht. Die Filter sind dabei abwechselnd beziehungsweise nach einem bestimmten Muster angeordnet. Das ursprünglichste, nicht “entrasterte” RAW-Bild ist daher eine Art Mosaik.

Rawtherapee gehört zu den wenigen Programmen, die dieses Mosaik anzeigen. Klicken Sie dazu im Bearbeitungsfenster im rechten Panel auf den vorletzten Reiter Raw. Klappen Sie hier das erste Menü Sensor mit Bayer-Matrix aus, und wechseln Sie zum ersten, Farbinterpolation genannten Untermenü. Klicken Sie auf die Ausklappliste bei Methode, und wählen Sie keine aus. Das geöffnete RAW-Bild färbt sich nun grün. Das liegt daran, dass der Großteil der Farbfilter vor den Pixeln grün ist. Zoomen Sie nun auf 1600Prozent in das Bild hinein, dann lässt sich das Bayer-Mosaik deutlich erkennen (Abbildung1).

Abbildung 1: In Rawtherapee können Sie auch das Ursprungs-RAW vor dem Demosaicing anzeigen. Hier sind die Demosaicing-Methoden keine (links) und Mono (rechts) ausgewählt.

Um ein farblich korrektes Bild zu erhalten, muss der RAW-Entwickler für jeden Farbkanal die fehlenden Pixel zwischen den roten, grünen und blauen Pixeln gleichsam erraten. Dafür gibt es viele verschiedene mathematische Formeln, die unterschiedlich detailreiche Bilder erzeugen. Probieren Sie sie aus, indem Sie im Auswahlmenü die Methode durchwechseln.

Interessant ist zum Beispiel Mono: Hier gibt das Programm vor, nicht zu wissen, welches Pixel es welchem Kanal zuordnen muss, und zeigt nur den Helligkeitswert der einzelnen Bildpunkte an – also eigentlich ein Schwarzweißbild. Demosaicing-Formeln, die ein schärferes Bild erzeugen, verstärken auch das Rauschen. Sie sehen den Unterschied zwischen den Demosaicing-Formeln daher deutlicher, wenn Sie ein stark verrauschtes Foto in der 100-Prozent-Ansicht betrachten. Erhöhen Sie also eventuell die Sättigung und die Schärfe der Aufnahme stark. Ein besonders detailreiches Bild berechnet Amaze, ein weniger scharfes VNG4.

Bei der Dual-Demosaicing-Technologie, die Rawtherapee seit der Version5.5 unterstützt, kombiniert das Programm mithilfe eines Kantenerkennungsfilters zwei Entrasterungsmethoden. Für Bildteile, die Flächen ohne Struktur zeigen, verwendet es eine Formel, die ein weicheres und weniger verrauschtes Bild erzeugt. Für Bereiche, die viele Details enthalten, wählt es eine Methode, die ein schärferes Foto berechnet. Das ermöglicht, für alle Zonen die jeweils optimale Methode zu wählen. Das ist wichtig, weil die nachfolgenden Bearbeitungsschritte das Rauschen meist verstärken. Dabei gilt: Je weniger Rauschen das Bild von Haus aus enthält, desto weniger davon können Sie verstärken.

Capture Sharpening

Bei der Eingangsschärfung handelt es sich um eine leichte Schärfung, die Rawtherapee im Gegensatz zur normalen Schärfung, die meist als letzter Bearbeitungsschritt erfolgt, unmittelbar nach dem Demosaicing auf das Bild anwendet. Das Capture Sharpening erfolgt im linearen RGB-Farbraum, was Schärfungsartefakte minimiert. Es wirkt der Weichzeichnung des Bilds durch die Kamera beziehungsweise das Objektiv entgegen. Besonders effektiv bekämpft die Eingangsschärfung den Schärfeverlust durch Beugung, die entsteht, wenn Sie das Objektiv stark abblenden. Die Funktion wurde mit der Version5.8 von Rawtherapee eingeführt.

Auto-matched Curve

Die Auto-Tonwertkurve, eine Art automatische Bildoptimierung, gibt es seit Version5.4. Ebenso wie die Eingangsschärfung greift die Funktion beim Öffnen einer RAW-Datei, sofern Sie sie nicht explizit deaktivieren. Dabei vergleicht das Programm das weitestgehend unbearbeitete (entrasterte) RAW-Bild mit der in die Rohdatei eingebetteten JPEG-Vorschau, die der Bildprozessor der Kamera erstellt. Mithilfe dieses Vergleichs erzeugt Rawtherapee eine Tonwertkurve und wendet sie auf das RAW an.

Das Ziel ist ein Ergebnis, das dem JPEG der Kamera hinsichtlich Helligkeit, Kontrast und Farbton möglichst ähnelt, also eine Art Nachahmung der kamerainternen Bildoptimierung. In der Praxis erweist sich die Auto-Tonwertkurve als nützliche und vor allem zeitsparende Funktion. In Kombination mit der Eingangsschärfung führt sie oft zu Resultaten, die (fast) keine zusätzlichen Bearbeitungsschritte mehr erfordern. Im Gegensatz zum JPEG der Kamera enthält das Foto aber keine JPEG-Kompressionsartefakte und befindet sich außerdem in einem größeren Farbraum, weshalb es oft kräftigere Farben besitzt.

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